Phuu, ich weiss einmal wieder überhaupt nicht, wie und wo ich anfangen soll. Beim gestrigen Renntag gab es so viele neue Eindrücke und Erlebtes, das ich wieder einmal ein ganzes Buch schreiben könnte! Der „Gravel-Boom“ aus den Staaten hat seit geringer Zeit auch in Europa mehr und mehr Fuss gefasst und meine ersten Eindrücke in diese Sportart sammelte ich ja bereits im vergangenen Herbst bei der Tortour Gravel in Zürich. Was ich damals schon erkannte war, dass es auf einem Cyclocross-Rad auf Schweizer Kies-und Waldwegen zwar geht, doch man bei gröberen Kieswegen damit an seine Grenzen kommt und ein richtiges Gravelrad von Vorteil ist.
Für alle diejenigen, denen der Begriff Gravel etwas fremd ist, hier eine kurze Erklärung. Ein Gravelbike ist im Grunde ein etwas robusteres Rennrad, bei dem man schon beinahe schmale MTB Reifen montieren kann. Sinn und Zweck sind natürlich, dass man damit nicht nur Strasse, sondern eben auch ziemlich viel Offroad fahren kann. Für allzu technisches Gelände sind die Räder einem MTB dann aber doch unterlegen, doch Mittlerweilen gibt es sogar Federgabeln mit wenig Dämpfung, was die Optionen erweitert. Auf Kies und Schotterwegen ist man dafür etwas schneller unterwegs als mit einem MTB, dies alleine schon durch die aerodynamischere Position auf dem Rad. Man kann sich also auf der Strasse und im Gelände austoben!
Was ich bereits die Tage vor dem Rennen und im Speziellen in Girona feststellte war, dass sich die Gravel-Szene von der MTB und noch viel mehr von der Strassen-Szene unterscheidet. Man trägt hier keine mit Sponsoren bepackten Trikots, sondern eher Hipster-Look. Möglichst schlichte Trikots ohne grossen Aufschriften und dazu hat man wenn möglich einen Bart im Gesicht, haha…… Materialmässig aber nur das allerbeste und obwohl ich Trikotmässig komplett aus der Reihe tanzte, hatte ich was das Material angeht den grössten Hingucker!
Wie schon in meinem letzten Bericht beschrieben hatte ich erst vor einer Woche von diesem Rennen gehört und ein Rad hatte ich ja auch nicht dabei. Dass ich am Ende den ersten Renneinsatz auf dem erst in diesem Monat auf den Markt kommenden Rad von Onguza fahren konnte, war eine sehr spontane Aktion. Zum Glück war mir auf dem Rad von Anhieb sehr wohl und ich kam sofort damit zurecht. Nachdem ich es am Freitag in Girona abgeholt hatte, fuhr ich am Samstag noch die letzten 40 Km des Rennens ab, damit ich wenigstens noch ein bisschen damit gefahren bin und das Finale kannte.
Der Startschuss fiel gestern Sonntag bereits um 7 Uhr Morgens und da wir mit dem Wohnmobil eben so schön „mobil“ sind, zogen wir am Samstagnachmittag von Banyoles direkt zum Start nach Girona um. Vor mir lagen also 200 Km „Gravelspass“, doch was genau auf mich zukommen würde, dass konnte ich schlecht erahnen. Mir wurde einzig gesagt, dass ein paar richtig starke Ex-Strassenprofis mit am Start stehen und die Rennen trotz der Länge von Beginn weg Vollgas gefahren würden!
Genauso war es dann auch und bereits am ersten Anstieg unmittelbar nach dem Start ging die Post ab. Ich reihte mich in den vordersten Positionen ein und dies war dann schon in der ersten Abfahrt von Vorteil. Durch die starken Regenfälle am Vorabend war der Boden aufgeweicht und der Schlamm wie Schmierseife! Spätestens jetzt vermisste ich mein MTB, denn das Profil an meinen Reifen…. Naja….. ! Irgendwie kam ich dann doch gut durch die Schlitterpartie und nach den ersten hektischen 25 Km formierte sich eine ca. 12 Fahrer grosse Spitzengruppe, wonach dann endlich etwas Ruhe eintraf. Das Spezielle an diesem Rennen war auch noch die Tatsache, dass die Strecke nicht ausgeschildert war und man sich selber mit dem GPS navigieren musste. Meine Lieblingsdisziplin also….. oder eher Alptraum!!
Die nächsten 50 Km waren dann praktisch flach und unsere Gruppe war sehr schnell unterwegs. Nach dem ersten auch kaum nennenswerten Anstieg kam die 2te Verpflegung und zu meiner Überraschung stoppten alle an. Ich brauchte eigentlich nichts und so nutzte ich halt die Zeit, um meine Kette zu schmieren. Durch den Stopp schloss kurze Zeit später die Verfolgergruppe auf und so waren wir für die nächsten 20 Km gut 20 Fahrer. Nach 100 Km wurde dann das Rennen mit dem einzig längeren Anstieg eingeläutet.
Dieser dauerte etwas mehr als 20 Minuten und der Untergrund war teilweise sehr ruppig. Doch neben dem Untergrund hatte ich ganz andere Probleme und zwar spürte ich am Anstieg nicht nur das etwas höhere Gewicht meines „Stahlesels“, sondern auch die etwas müden Beine durch das viele Training der letzten 2 Wochen in mir. Ich musste unglaublich beissen, damit ich in der bis auf 6 Mann geschrumpften Spitzengruppe bleiben konnte, doch ich schaffte es schliesslich über den Gipfel. Die Abfahrt war dann halsbrecherisch und da vermisste ich dann mein MTB das zweite Mal.
Leider kam dann noch einmal eine kurze Gegensteigung, doch da machten meine Beine komplett zu und die Lücke ging auf. Das war nun richtig schlecht, denn nun musste ich in der zweiten Hälfte der Abfahrt nicht nur unglaublich auf die Schotterstrasse sondern auch noch auf mein GPS achten. Eigentlich ist so etwas viel zu gefährlich und unverantwortlich, doch in so einer Situation bekommt die Unvernunft Überhand. Ich durfte einfach in jener Situation nicht locker lassen und so schaffte ich es am Ende doch wieder in die Gruppe!
Es folgten weitere vierzig vorwiegend flache Km und irgendwie fühlte ich mich nach der Krise am Anstieg wieder viel besser. Neben Sule Kangani, Piotr Havik, Ivar Slik waren noch Petr Vakov und Laurens ten Dam bei mir. Davon kannte ich nur die letzten Beiden, ten Dam aus dem TV aus früheren Tour de France Rennen und Vakov fährt seit diesem Jahr im MTB Team von Canyon Northwave, nachdem er noch im letzten Jahr bei der Tour de France als Helfer von Van der Poel gefahren war. Bis auf den kleineren Fahrer Kangani aus Kenia waren es eher robuste Athleten und Tempo – Bolzer und so sah für mich die Ausgangslage nicht gerade rosig aus.
Ich war ziemlich froh, dass ich mir am Vortag den Schluss des Rennens angeschaut hatte, denn so wusste ich genau, wie lange die nun bevorstehenden Anstiege waren. 30 Km vor dem Ziel war dann Schluss mit der Harmonie und es wurden die ersten richtig harten Attacken gefahren! Ich kann euch sagen, diese letzten Km dieses Rennens gehören zu den schmerzvollsten, die ich je erlebt habe und es würde den Rahmen sprengen, um jede Attacke und das Zufahren der aufgehenden Löcher zu beschreiben! Doch da mir genau diese Rennsituationen am meisten Spass machen, konnte ich mental & physisch an mein absolutes Limit gehen… ich wollte um jeden Preis einen Podestplatz!
Am Ende kam es tatsächlich zum Sprint der kompletten 6-köpfigen Spitzengruppe und da hatte ich dann gegen Havik und Slik klar das Nachsehen (Ihr könnt ja einmal die Waden auf dem Podest vergleichen, hehe). Doch dass ich mich am Ende gegen die weiteren namhaften Begleiter durchsetzen konnte, konnte ich fast nicht glauben. Nach einem solch hart umkämpften Rennen kann ich mich auch über einen 3ten Rang genauso freuen, wie wenn ich gewonnen hätte. Es war Rennsport vom Feinsten und ich genoss jeden einzelnen Km des Rennens!
Jetzt bin ich also um eine Erfahrung reicher und eigentlich war dieses Jahr eines meiner Ziele die Teilnahme am bekanntesten Gravelrennen der Welt, dem Unbound Gravel (früher Dirty Kansas) in den USA (200 Meilen-Rennen). Dieses findet am 4. Juni statt und ich hatte mich schon um einen Startplatz bemüht, doch keinen erhalten (schwieriges Prozedere)… nun hätte ich zwar einen, doch müsste ich das Projekt alleine stemmen und durchführen. Ich war noch nie in den USA und irgendwie habe ich so mitten in der Saison zu viel Respekt vor dieser Aktion. Dass ich nun aber dennoch die Gelegenheit hatte, ein solch langes Gravelrennen zu fahren, ist umso cooler und nächstes Jahr werde ich dann vlt. auf der langen Strecke über 360 Km an den Start gehen…..
Mir machen die Abstecher in neue Disziplinen und Szenen immer mehr Spass und vor allem auch die Rennformate und Streckencharakteristiken. Irgendwann werde ich bestimmt auch in den USA fahren können, denn gegen die herrschende Hitze und 320 Km Distanz habe ich nichts einzuwenden. (Dazu wäre das Rennen in Marokko die beste Vorbereitung). Schaffe ich jetzt nicht noch die nötigen Kontakte herzustellen, bleibt es aber vorerst ein Traum……
Nun werden wir noch bis Donnerstag in der Gegend bleiben, doch das Rad wird nur noch für lockere Erholungsrunden bewegt. Inkl. Rennen hatte ich die letzte Woche rund 28 Stunden auf dem Rad verbracht und umso glücklicher bin ich, dass ich nach dem vielen Training noch ein solch gutes Rennen fahren konnte. Am Donnerstag geht es dann von Barcelona weiter nach Marokko, ehe es am Sonntag mit dem Titan Desert losgeht! Der Fahrplan stimmt also und ich komme genau rechtzeitig wieder in Form!
Ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle nochmals Dan Craven für das Bereitstellen des Fahrrades und meiner Frau für die perfekte Betreuung! Immerhin sass Vera ebenfalls über 100 Km auf dem Rad, damit ich auch jederzeit genügend Verpflegung hatte!
Graveln rockt und bis zu meinem nächsten Einsatz wächst vlt. auch mein Bart lange genug, haha!