Rennberichte

Long story „long“!

Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten und vielen grossen Träumen ….. ? Ein «langer» Bericht für all diejenigen, die sich für mich und meine Zukunft interessieren.

Es verstrich Zeit…. sehr viel Zeit, ehe ich diesmal wieder zu Hause war. Mein Rückflug von Denver via London nach Zürich ging erst am Dienstagabend und so verbrachte ich nicht nur zwei Tage in Colorado Springs, sondern auch mehrere Stunden am Londoner Flughafen in einer Lounge. Die Heimreise dauerte deshalb so lange, da ich den Flug vom Rennen in Leadville auf diesen Trip umgebucht habe und es keine anderen Optionen für das damals gebuchte Ticket gab. Es war nicht das einzige Mal in diesem Jahr, dass ich einen Flug umbuchen musste und ja, ich hatte mir das Abenteuer Amerika ganz ehrlich etwas anders vorgestellt. Zeit zum Nachdenken gab es also wieder einmal mehr als genug …..

Die gesamte Organisation und Planung für die Rennen war dieses Jahr alles andere als einfach und den erhofften Support von den Organisatoren blieb leider aus. Eigentlich hatten sie angekündigt, dass sie bei Übernachtungsmöglichkeiten helfen würden, doch leider passierte diesbezüglich nichts. Auch der Zusammenschluss von Fahrern erwies sich als schwierig, zumal die Rennen weitgehendst in sehr abgelegenen Orten stattfanden und jeder mit seiner eigenen Hin- und Rückreise beschäftigt ist. Die Kollegen, bei denen ich mich anschliessen konnte, reisten teilweise über 25 Stunden mit dem Auto an und da sind dann Umwege und Abholdienste vom Flughafen etwas viel verlangt. So war es tatsächlich stets das Einfachste, wenn ich selbst meinen Weg ging. Sprich Auto mieten und unabhängig bis zum Austragungsort an- und abreisen.

Ich hatte ursprünglich auch einmal einen längeren Aufenthalt am Stück in den USA geplant, doch dies erwies sich als nicht ganz so einfach und dafür fehlte mir schliesslich ganz einfach das nötige Setup- und Budget. So wie es aussieht würde ich es aber auf nächstes Jahr hinbekommen, da ich nun doch ein paar Kontakte knüpfen und mir auch die möglichen Ortschaften wie Colorado oder Boulder etwas anschauen konnte. Das Problem der Lifetime Serie ist nämlich, dass vier von sieben Rennen auf der Höhe stattfinden und deshalb ist eine «Basis» in der Höhe eine Grundvoraussetzung. Diese Tatsache würde ich auch gleich als die grösste Tücke dieser Serie betrachten, denn jedes Rennen braucht eine entsprechende Akklimatisierung und diese kann praktisch nur vor Ort gemacht werden. Für Höhenlagen wie zB. in Leadville oder beim Crusher kann man sich in Europa gar nicht vorbereiten. Dabei reden wir dann natürlich nicht nur von ein paar Tagen, sondern von jeweils mindestens zwei, besser drei Wochen vor dem Wettkampf. Würde ich dies wollen, dann bräuchte ich vor allem eines, sehr viel mehr Budget.

In den letzten Jahren hatten meine Frau und ich grösstenteils dasselbe Rennprogramm absolviert und so konnten wir denselben Lifestyle zusammenleben und die Erlebnisse teilen. Dieses Jahr bin ich nun fünfmal allein in den Flieger gestiegen und habe zwar extrem viel erlebt und dazugelernt, doch den Preis dafür habe ich auch bezahlt. Ganz sicher trägt auch die Tatsache dazu bei, dass es mir nach einer sehr erfolgreichen Saison im Vorjahr ganz einfach nie gelungen ist, mein Potential abzurufen und die gewünschten Resultate einzufahren. Dies ist vor allem deshalb frustrierend, weil ich nicht weniger Aufwand betrieben habe, sondern mit derselben Konsequenz gelebt und trainiert habe wie immer. Dazu kam der ganze Stress in der ersten Jahreshälfte mit dem abgesprungenen Hauptsponsor (ETL-GDS) und der Suche nach Ersatz. Ich kann hier auch einmal Zahlen nennen. 25’000 Fr. abgemachtes Budget fehlte von heute auf morgen, ohne jegliche Erklärung -/ Begründung …. , denn alle Anrufe und E-Mails blieben unbeantwortet!

Ich war im Frühjahr zweimal beim Arzt, da ich das Gefühl hatte, dass bei meinem Herz etwas nicht stimmte. Langzeit EKG’s und verschiedene Tests ergaben glücklicherweise nur einen Befund, Angstzustände Aufgrund von zu hohem Stress. Stress, den ich mir teilweise ganz klar auch selbst machte, doch ganz bestimmt hatte dieser auch grossen Einfluss auf meine Performance. Es war ja nicht nur die Sache mit dem Sponsor, sondern die Überlegungen, wie ich die Sache mit Amerika angehen sollte. Die Frage wie weiter stand für mich lange im Raum und letztendlich entschied ich mich, die Situation zu akzeptieren und das Projekt USA durchzuziehen.

Rückblickend würde ich bestimmt einiges anders machen, doch dafür musste ich ja zuerst einmal irgendwie anfangen und meine Erfahrungen machen. Sämtliche Rennen waren neu für mich und besonders die Gravelrennen haben eine ganz andere Dynamik, als ich es auf dem MTB gewohnt bin. Ich bereue die Entscheidung, mich in Amerika zu versuchen aber keinesfalls, vielmehr die Tatsache, dass ich nebenbei auch noch in Europa bestehen wollte und beides zusammen geht leider nicht auf dem gewünschten Niveau! Sechsmal überstand ich einen Jetlag von mindestens sieben Stunden und es versteht sich von allein, dass der Körper jedes Mal ein wenig damit kämpfen musste und der Rhythmus gebrochen wird. Am Ende musste ich aber alles selber entscheiden und wenn es jemand besser weiss, dann kann er mir in Zukunft gerne einmal einen Tipp geben……

Am Anfang dachte ich, dass ich mich in Amerika sehr weit vorne platzieren würde, doch dieses Ziel musste ich spätestens nach dem Rennen in Beaver begraben. Zu viel stand ich mir selbst im Weg und obendrauf kam auch noch immer wieder Pech hinzu. Dass ich durch das hin und her dann auch noch Rennen wie zB. das Swiss Epic unter meinen Möglichkeiten bestritt, ist für mich rückblickend sehr ärgerlich. Ich bin mir aber auch sicher, dass ich mit meiner Selbsteinschätzung, ganz vorne mitzumischen nicht daneben lag…. Es braucht einfach die Ersterfahrung und beim zweiten Mal, so bin ich überzeugt, würde es ganz bestimmt einiges einfacher und somit auch besser laufen!

Nun steht noch das grosse Finale in Bentonville bevor, welches im Rahmen des Big Sugar Festivals sattfinden wird. Ein weiteres Gravelrennen über 160 Kilometer und trotz meines Abschiffers in Trinidad liege ich noch immer auf dem 10ten Rang in der Zwischenwertung. Auf Rang 8 fehlt lediglich ein Punkt, doch auch nach hinten ist die Luft mit demselben Abstand sehr dünn. Realistisch gesehen ist aktuell von Rang 7 bis 12 noch alles möglich und es braucht im Grunde nur eines, ein letztes erfolgreiches Rennen ohne Zwischenfälle für mich!

An diesem Wochenende fanden zum zweiten Mal die Gravel-Weltmeisterschaften in Italien statt. Das wäre ebenfalls ein Rennen, das ich gerne mal bestreiten würde, doch ich habe in diesem Jahr bereits auf zu vielen Hochzeiten getanzt und es geht einfach nicht alles. Von der Erkältung habe ich mich Mittlerweilen erholt und mit dem Jetlag komme ich eigentlich ganz gut zurecht. Nun werde ich mich die nächsten zwei Wochen so gut es geht zu Hause auf das grosse Finale vorbereiten. Einmal mehr braucht es eine extra Portion Motivation, denn ohne Erfolgserlebnisse ist das «Aufstehen» besonders schwer, zumal die Saison schon sehr lange dauert! Irgendwann wird mir aber das Glück auch in diesem Jahr zur Seite stehen und wieso nicht beim Finale?!

Vor einem Jahr konnte man sich erst im Dezember für die Lifetime Serie bewerben und dieses Jahr öffnet die «Bewerbung» bereits Ende nächster Woche und bis Ende Oktober ist dann auch gleich bekannt, wer sich einen der neu wieder nur 30 (statt 35) Fahrern der Welt für einen Platz qualifizieren wird. Mein Platz sollte aber bereits auf sicher sein, denn die Top15 von diesem Jahr erhalten einen garantierten Startplatz in der Saison 2024! Soll ich es also nochmals versuchen? Damit wären die teilweise doch ganz schön schmerzhaften Erfahrungen in diesem Jahr nicht umsonst gewesen und ich könnte einiges anders machen ….. ?

Die Frage nach meinem Rücktritt habe ich mir in diesem Jahr aber auch sehr oft gestellt und nach 13 Jahren als Berufsradfahrer steht dieser Schritt auch altersbedingt einiges näher als noch vor 10 Jahren. Rein körperlich bin ich aber nach wie vor in der Lage, meine Bestwerte abzurufen und ich denke vor allem bei langen Rennen wie gerade dem Unbound hätte ich noch viel Potential für Top-Ergebnisse. Zumal ich nun meine Ersterfahrung gemacht habe. Ihr habt über die Saison aber auch gemerkt, dass es einige Rennen gibt, für die ich mich mental nicht mehr genügend aufbauen kann und dann ist da noch die Sache mit dem Support und dem Standpunkt des Sportes im Generellen. Als ich mich vor drei Jahren als «Privatfahrer» selbstständig gemacht habe, da war ich voller Zuversicht und auch bereit, ein Jahr in den sauren Apfel zu beissen, was das Finanzielle betrifft. Trotz einer sehr erfolgreichen Saison 2022 änderte sich mein Standpunkt auf dem «Arbeitsmarkt» in meiner Branche nicht und mit dem Projekt Amerika erfüllte ich mir selbst einen «Traum», in den ich rund 12’000 Fr. investierte. Nun habe ich aber auch diesen Punkt auf meiner to-do Liste abgehakt und sollte ich die Serie in den Top-10 beenden, dann wäre es zumindest aus der Sicht vieler Amerikaner ein absolutes Top-Ergebnis. Es kommt halt ganz auf die Erwartungen an….

Wie schon gesagt könnte ich im nächsten Jahr durch die neuen Kontakte vieles optimieren. Dass ich so oft geflogen bin, damit bin ich selbst überhaupt nicht im Reinen und meine Bilanz in meinem Leben ist diesbezüglich eine Katastrophe. Doch auch darüber und vor allem allein von dem, was ich in Amerika so alles gesehen habe, könnte ich eine weitere Sonntagslektüre füllen! Fakt ist, dass es in Amerika auch neben der Lifetime Serie noch einige weitere sehr coole Rennen geben würde und ich bei einer etwas überarbeiteten Planung und längeren Aufenthalten nochmals eine richtig coole Saison bestreiten könnte.

Was ebenfalls gegen meinen Rücktritt spricht und das ist der grösste Fürsprecher ist die Tatsache, dass auch meine Frau nach ihrer erfolgreichsten Saison ihre Karriere fortsetzen möchte. Die Chancen auf eine dritte Olympiateilnahme sind weiterhin sehr gross und dass man als Titelverteidigerin beim Cape Epic, Swiss Epic, Marathon Weltcup usw. am Start stehen möchte, versteht sich von selbst. Die Erfolgsgeschichte der «Looser’s» beruht vor allem auf der Tatsache, dass wir uns beide mit dem aktuellen Lifestyle perfekt ergänzen. Trotz all den Erfolgen arbeitete meine Frau in dieser Saison mit einer 50% Anstellung mehr als im Vorjahr und neben Arbeit und Training bleibt logischerweise nicht sehr viel Zeit für andere Tätigkeiten. Da wir beide als Einzelfahrer unterwegs sind, sind wir somit auf die gegenseitige Hilfe angewiesen. Da ich als Hausmann und Mechaniker in diesen Belangen sehr viel Zeit investiere, kann ich meine Frau wenigstens in der Hinsicht viel unterstützen und wir können so beide unseren Traum verwirklichen. Ein weiterer Punkt ist auch, dass meine Frau aus Namibia stammt und sie ihre Heimat für mich aufgegeben hat. Durch den Profisport und die Tatsache, dass wir die Saisonvorbereitung vor allem im Hinblick auf das Cape Epic sowieso am besten in Afrika (Südafrika und Namibia) machen, kann sie die Wintermonate in ihrer Heimat verbringen. Trete ich jetzt zurück, dann würden unsere Wege nicht mehr viel gemeinsam haben….

Ich habe diese Saison mental oft mit mir gekämpft und Versuche, die Freude für gewisse Events doch noch zu finden (wie zB. beim Eiger Bike) misslangen gründlich. Es gibt aber weiterhin einige Rennen, bei denen allein der Gedanke daran die Wade zu zucken beginnt und das ist ein gutes Zeichen. Ich kann und muss ganz einfach in Zukunft die Finger davon lassen, wenn ich das Feuer für eine Sache nicht mehr entfachen kann, denn die Brechstange ist keine Lösung! Dass ich in meiner Karriere nur einmal ganz kurz einen Coach hatte und mich bis heute noch nie jemand für irgendein Training motivieren musste zeigt, dass meine Leidenschaft noch vorhanden ist. Diese Tatsache würde ich übrigens auch als meinen grössten Erfolg bezeichnen. Die Kunst ist nämlich nicht, mit 18 Jahren in der Nationalmannschaft zu sein und irgendwelche Nachwuchskategorien zu gewinnen, sondern sich mehr als ein Jahrzehnt so an der Spitze zu behaupten, dass man davon leben kann. Mit 34 Jahren gelingt es mir noch immer, auf diversen Streckenprofilen, Anforderungen und auch unterschiedlichste Renndauern Wettkämpfe zu gewinnen und diese Tatsache treibt mich weiter an.

Noch habe ich also ein paar Tage Zeit, ehe ich mich für eine Anmeldung zur Lifetime Serie entscheiden muss und leider ist es vor allem auch davon abhängig, ob ich weiterhin als Berufsfahrer die notwendige Zeit investieren kann. Aktuell sieht es leider nicht so aus und ich bin ganz einfach auf weitere Sponsoren angewiesen. Die Ideen und Energie dazu sind mir leider ausgegangen und wer weiss, vlt. hat ja auch in dieser Hinsicht jemand von euch da draussen einen Tipp oder eine Lösung für mich, ich würde mich sehr freuen!

So oder so lasse ich mich jetzt nicht davon abkommen, noch einmal all meine Kräfte zu sammeln und mit der richtigen Einstellung das Finale anzugehen, FullGaz!