Heute packen wir’s! Der Wille war zumindest auch am Start zur heutigen vierten Etappe ungebrochen, denn schliesslich haben wir unser Ziel eines Podestplatzes bei diesem Rennen noch immer nicht erreicht! Die bevorstehenden 72 Km und 2’000 Höhenmeter, welche uns von St. Moritz nach Davos brachten waren jedoch kein Zuckerschleck und vor allem der Scaletta Pass ist „ein Brett“ und war die heutige Knacknuss!
Ich fühlte mich eigentlich sehr viel besser als gestern und so glaubte ich an unser Ziel! Leider musste ich dann bereits unmittelbar nach dem Start feststellen, dass es wohl erneut sehr zäh wird, denn bei den ersten 250 Hm wurde ein so hohes Tempo angeschlagen, dass ich den ersten sechs Teams nicht folgen konnte. Dass es aber auch tatsächlich ziemlich schnell war zeigte sich schon bald, denn auch BUFF-Megamo verlor vorne den Anschluss und gemeinsam mit Scott 2 fuhren wir nach einer durch den Regen am Vorabend ziemlich rutschigen Abfahrt die Lücke bis nach dem Stazersee zur Spitze wieder zu.
Vor uns lagen nämlich ein paar flache und sehr schnelle Km Richtung Unterengadin und in der Spitzengruppe wollte natürlich noch keiner sein Pulver unnötig verschiessen. Nach der Ortschaft La Punt folgte dann von Km 25 bis 45 ein stetiges Auf- und Ab mit vielen Singletrails. Ich versuchte in den kurzen Steigungen nicht zu sehr zu überdrehen und in den Abfahrten die Lücken wieder zu zufahren, damit ich den Yoyo-Effekt etwas vermeiden konnte. Mein Plan ging ganz gut auf und so waren wir im entscheidenden Moment am Fusse des Scalettapasses in der Spitzengruppe mit dabei. Vor gut drei Wochen bin ich den Pass mit Fadri im Training abgefahren und vor zwei Jahren fuhr ich beim Swiss Epic mit Sören Nissen auf jenem Teilstück auf’s Podest. Ich wusste also ziemlich gut was auf uns zukam und ich kann euch sagen, der Anstieg mit knapp 1’000 Hm hinauf auf 2’606 M.ü.M. ist brutal!
Am Anfang geht es noch etagenweise ins Tal rein, ehe es so richtig steil wird. Doch spätestens dann beginnt der Leidensweg! Der Weg wird immer schmaler und steiler und die Luft immer dünner! Ich versuchte, vor dem Beginn der steilen Rampen etwas raus zu nehmen und einen guten Rhythmus zu finden, mit welchem ich dann im obersten Drittel nochmals zusetzen könnte. So liessen wir unsere Begleiter bald ziehen, doch mein Vorhaben missglückte komplett und ich konnte nicht mehr zusetzen. Leider ging die Lücke zu den Gesamtvierten (BULLS) richtig auf, doch am Ende passierten wir den Gipfel nicht allzu weit hinter BUFF-Megamo und es schien sogar so, als dass wir in der Abfahrt an Boden gutmachten. Als wir ca. 15 Sek dran waren standen die beiden dann aber mit einem Defekt an der Strecke und ich war generell überrascht, dass es nicht mehr Fahrer mit Defekt erwischt hatte. Die Abfahrt ist nämlich nicht ohne und ich war auch heute froh, als ich ohne Defekt und vor allem ohne Sturz aus der Abfahrt kam!
Am Ende beendeten wir die Etappe auf dem fünften Rang und da blieben wir leider auch in der Gesamtwertung sitzen. Ich hatte einen weiteren Tag über lange Strecken gelitten wie sonst was, hatte aber alle Schmerzen über mich ergehen lassen und darüber bin ich stolz und deshalb auch zufrieden. Am Scalettapass hätte ich mich am liebsten hingesetzt und die grandiose Aussicht genossen und meine gesamte Ausrüstung irgendwo in den Abhang hinunter geworfen! Mir tat alles dermassen weh vom Drücken und Ziehen, dass ich kaum mehr wusste, wie ich auf dem Sattel sitzen sollte und trotzdem pushte ich mich bis ich fast vom Rad fiel! Gefühlte 1000 Mal ging mir der legendäre Spruch von Udo Bölts durch den Kopf, den er bei der Tour de France als Helfer seinem Leader Jan Ullrich bei dessen Sieg zugerufen hatte, „quäl dich du Sau!“ Das ist irgendwie das Faszinierende an einem Partnerrennen, denn diesen lässt man nicht im Stich!
Früher, also in meinen Anfangszeiten und „jungen Jahren“ war meine grösste Stärke, dass ich mich extrem gut erholen konnte und leider ist mir diese Fähigkeit abhanden gekommen. Ich weiss nicht, ob es das Alter ist oder ganz einfach mein aktueller Formstand…. Aktuell hat es zwar noch für keinen Podestplatz gereicht, doch auf der anderen Seite muss man auch ganz klar das diesjährige Niveau bei diesem Rennen richtig interpretieren. Vor- oder neben uns liegen praktisch nur Landesmeister und alles Fahrer, die in der aktuellen Weltrangliste in den Top 20 liegen. Leider sind wir zwar am Ende dieses illustren Feldes, doch allzu schlecht dann doch nicht unterwegs. Das Niveau ist halt auch einfach so hoch, dass man bereits mit 3% weniger Gas keine Chance mehr hat, obwohl im Grunde gar nicht viel fehlt. Auf solchen Streckenführungen machen diese paar % halt doch den Unterschied aus, während man sich bei einem flachen Rennen noch irgendwie durchschmuggeln könnte.
Nun liegt also tatsächlich bereits die letzte Etappe vor uns und obschon mein Körper und Beine sprichwörtlich im Ar……sch sind, gibt es nochmals eine weitere Chance, also werden wir es auch morgen versuchen!
Unser Hauptziel der Woche (neben sturz -/ und defektfrei) werden wir so wie es aussieht aber ziemlich sicher erreichen und das ist die Tatsache, dass wir auch nach der Woche egal was kommt Freunde bleiben…. Obwohl wir uns bisher noch nicht sehr gut kannten habe ich mit Fadri einen neuen guten Kollegen gewonnen und auch seine gesamte Familie verdient bereits jetzt ein riesiges Dankeschön für den unermüdlichen Support!
Nach meiner heutigen Zieleinfahrt wurde mir dann mittgeteilt, dass meine Frau oder besser gesagt ihre Partnerin schwer gestürzt sei. Dies ist für mich fast unerträglich, denn ausser im Ziel warten kann ich ja nichts weiter tun und so hoffte ich eine Stunde lang, dass sie die Etappe im Leadertrikot zu Ende fahren könnten und fragte mich, wie es ihnen geht. Als ich dann Kim dermassen gezeichnet von Schmerzen und die Enttäuschung und Frust in den Augen meiner Frau sah, brach es mir fast das Herz. Erneut waren es Fadris Eltern, die sich um Kim kümmerten und sie ins Spital brachten. Nach gründlichen Untersuchungen gab es zum Glück Entwarnung und wir alle hoffen, dass die beiden die morgige Etappe zu Ende und den verdienten Gesamtsieg feiern können. Wenn nicht, dann ist es auch nicht so schlimm und die Gesundheit von Kim liegt zurzeit an erster Stelle, am Ende ist es ja schliesslich nur ein Fahrradrennen und der heutige Crash zeigt, wie schnell es eben gehen kann!
66 Km und 2100 Hm trennen uns also noch vom Zielstrich und ich bin mir sicher, dass ich noch einmal endlos leiden werde….