Rennberichte

„Unbound gravel“, die Ehrfurcht vor einem Mythos!

Jeder Mensch kennt das Gefühl von Nervosität des Unbekannten, dem berüchtigten «ersten Mal» (bitte nicht falsch verstehen…), denn es passiert im Leben immer wieder und man kann sich davor nicht verstecken. In die Kindheit zurückblickend war es bei mir vermutlich der Ersteintritt in den Kindergarten, danach kommt die Einschulung, das erste Vorstellungsgespräch, das erste Date oder die erste Bekanntschaft mit den Schwiegereltern …. die Hochzeit, Prüfungsangst oder was auch immer ….. es ist normal im Leben, dass man sich gewissen Situationen stellen muss und bei vielen Dingen gibt es eine Routine, bei anderen hingegen wird die Anspannung wohl stets die gleiche sein!

Mit 34 und bald 15 Jahren Profisport lies bei mir die Anspannung & Nervosität natürlich durch meine Erfahrung und eben genau dieser Routine bei den meisten Wettkämpfen über die Jahre nach, doch es gab und gibt doch immer wieder Ausnahmen und in genau einer solchen Situation befinde ich mich seit meiner Ankunft in Amerika wieder! Die Teilnahme am prestigeträchtigsten und bekanntesten Gravelrennen der Welt, dem «Unbound Gravel» war schon lange ein Wunsch von mir und durch die Selektion zur Lifetime Serie wurde dieser erfüllt, doch auf was ich mich da tatsächlich eingelassen habe, wurde mir erst die letzten Tage bewusst!

Das Unbound ist nicht irgendein Rennen, denn allein die Eckdaten mit 329 Km und ca. 3’500 Höhenmeter durch die Flint Hills sprechen für sich. Nach zwei Tagen Training auf der Strecke bekam ich auch einen ersten Eindruck des Geländes und konnte das Material testen. Beide Komponenten (Länge & Beschaffenheit) machen mir noch immer keine Sorgen oder bescheren mir irgendwelche Ängste nein, vor was ich am meisten Respekt habe, ist die Konkurrenz und Art & Weise, wie dieses Rennen wohl gefahren wird. Ich habe schon oft gehört, dass Gravelrennen trotz Länge von Beginn weg extrem schnell und hektisch sind und da ich bisher nur ein einziges Rennen dieser Art bestritten habe («The Traka» in Girona im April vor einem Jahr), fehlt mir schlichtweg die Erfahrung. Mountainbiken ist mir so vertraut, dass ich nach Anblick der Startliste ziemlich genau sagen kann, zu was ich in der Lage bin und wie das Rennen ungefähr ablaufen wird, hier nicht….. ! Bei diesem Rennen kommen auch die technischen Fähigkeiten kaum zum Tragen, denn ausser den herumliegenden Steinen auszuweichen, gibt es nicht viele Schwierigkeiten und so ist vor allem eines gefragt, ein unglaublich grosser Motor. Genau diesen bringen einige Ex-Strassenprofis aus der Pro-Tour natürlich mit, genauso die Erfahrung mit den Positionskämpfen. Da es über die Distanz nicht gerade viele Höhenmeter sind, wird es ein ultra-schnelles Rennen geben und dies ist ein weiteres Handicap für mich.

Am Ende habe ich aber auch praktisch nichts zu verlieren und ich kann sagen, dass ich mein Bestmögliches getan habe, um überhaupt hier zu sein und allein der Start ist ein Privileg, welches vielen Fahrern verwehrt bleibt. Durch die enorme Bekanntheit dieses Rennens ist es nämlich unglaublich schwierig, überhaupt einen Startplatz zu bekommen (es geht nur über eine Lotterie) und dies ist auch der Grund, wieso ich es noch gar nie hierhergeschafft habe. Dasselbe gilt übrigens auch für das MTB-Rennen in Leadville im August. Da das Rennen zur Lifetime Grand Prix Serie gehört ist für mich vor allem auch entscheidend, wo die anderen 34 Fahrer der Serie abschneiden, zumal es für die Serie eine separate Punktewertung gibt. Es kann also gut sein, dass ich auf Rang 18 ins Ziel komme, aber 6ter der Serie wäre und somit trotzdem viele Punkte bekomme. Das Rennen ist extrem gut besetzt und so ist für mich ein Rang Ziel nicht von Bedeutung. Ich denke, wenn ich es in die Top 20 schaffe, dann wäre das bereits eine super Rangierung und alles andere (Top 10) herausragend. Am Ende möchte ich aber vor allem nur eines, das Ziel möglichst ohne Zwischenfälle oder Defekte erreichen!

Die Vorbereitungen liefen für mich eigentlich sehr gut, denn nach dem Rennen in Wetzikon konzentrierte ich mich auf einen umfangreichen Trainingsblock und dieser verlief dann trotz der zu Beginn noch misslichen Wetterverhältnissen perfekt. Die Beine drehten so gut, dass ich sogar noch mit einem Start beim Jura Bike Marathon liebäugelte, doch am Ende zog ich das Training für einmal vor und vor allem auch der Verzicht auf die erneute Reiserei durch das Verkehrschaos Schweiz tat richtig gut.

Am vergangenen Freitag setzte ich mich dann wieder einmal in den Flieger und reiste nach Denver Colorado. Der Tag Flug mit über 11 Stunden war zum Glück nicht überfüllt und so war die Reise angenehm. Am späteren Nachmittag Ortszeit (Mitternacht Schweizer Zeit) erreichte ich schliesslich das Ziel und danach hiess es Auto abholen und das Hotel suchen. Morgens um 5 Uhr (Schweizer Zeit) war dann alles erledigt und am nächsten Morgen drehte ich dann die erste Runde auf dem Rad in Denver. Anschliessend fuhr ich die erste Teilstrecke nach Emporia (3.5 Std.), ehe ich in einer kleinen Ortschaft übernachtete. Die Anreise hatte ich mir lange überlegt, denn ich hätte natürlich auch nach Kansas oder Wichita fliegen können, doch dahin gibt es keine Direktflüge und ich habe nun von mehreren Fahrern gehört, dass durch das ein oder gar zweimalige Umsteigen die Räder nicht rechtzeitig angekommen sind. Dieses Risiko wollte ich nicht eingehen und ausserdem konnte ich mit Edelweiss das Rad plus Gepäck ohne Aufpreis mitnehmen. Normalerweise reise ich stet nur mit der Fahrradkiste und da ist halt das übrige Gepäck extrem limitiert. So hatte ich also genügend Gepäck mit dabei und mein Rad kam auch sicher an. Ausserdem würde ich am Ende genau gleich lang unterwegs sein, wenn ich das Umsteigen und Herumsitzen an den Flughäfen mit dazu rechne plus sind es von beiden Orten ebenso 2 Std. Autofahrt.

Nach einer ruhigen Nacht in Oakley reiste ich am nächsten Morgen schon früh (durch den Jetlag war ich bereits um 5.30 Uhr der erste am Frühstück) weiter, ehe ich nach 4.5 Std. im Auto schliesslich das Endziel Emporia erreichte. Eigentlich hatte ich mich auf die Autofahrt von Denver nach Emporia gefreut, denn so würde ich sogar noch einiges von der Landschaft sehen. Nun, da wurde ich leider ein wenig enttäuscht, denn es sah während 800 Km praktisch genau gleich aus! Endlose grüne Prairie und unendlich grosse Felder der Landwirtschaft. Dazu praktisch ausschliesslich geradeaus und extremer Wind. Dieser erklärte auch die zig hunderten an Windmühlen, Wahnsinn! Ja, wenn die Amerikaner etwas mehr haben als die Schweizer dann ist es vermutlich Platz! Dass dieser dann auch sinnvoll genutzt wird, ist natürlich super und ich weiss nun auch, von welcher Gegend (Kornkammer) die 332 Mio. AmerikanerInnen ernährt werden!

Gab es auf dem Weg nach Emporia nur vereinzelt kleine Ortschaften, in welchen wohl neben der Beherbergung der Durchreisenden wohl einzig die Traktoren getankt und repariert werden, ist die Stadt eine regelrechte Oase in der grünen Wüste (so fühlt es sich zumindest an). Mit 24’000 Einwohnern läuft hier schon einiges und es hat sogar eine grosse Universität. Die Gegend ist extrem gepflegt und bietet auch einige schöne Parks zum «Sinnieren». Nach einer ersten kurzen Erkundungstour absolvierte ich dann am Montag & Dienstag zwei längere Trainings auf der Strecke und konnte so den ersten und letzten Teil des Rennens begutachten. Eigentlich geht es im Prinzip im  Schachbrettformat um die Felder. 10 Km geradeaus in die eine Richtung, dann eine 90° Kurve und anschliessend 5 oder 10 Km in die andere Richtung usw……

Die Strassen sind aber (nicht wie zB. In Namibia) extrem gut und perfekt zum «Gravelen» und genau in solchem Gelände verstehe ich auch absolut den Sinn für diese Sportart. Während 4.5 Std. am Montag sah ich ganze 2 Autos!! Man kann also in Ruhe auf autofreien und sehr angenehmen Kiesstrassen auf einem sehr schnellen Fahrrad trainieren. In Namibia scheppert und holpert es dazu auf den Kiesstrassen viel zu sehr und deshalb erfüllt ein Gravelbike seinen Zweck überhaupt nicht. In der Schweiz kommt es meiner Ansicht nach ganz auf die Region und natürlich den individuellen Fahrertyp an, ob ein solches Rad Sinn macht und seine Berechtigung hat, aber am Ende muss das natürlich jeder selbst wissen!

Das Training ist für mich nun seit gestern Dienstag abgeschlossen und nun versuche ich, mich vor allem mental darauf vorzubereiten. Heute Nachmittag wird mich ausserdem noch ein Filmteam begleiten, das einen «Backstage» Bericht über mich und das Rennen im Rahme der Lifetime Serie erstellt. Dazu öffnet Morgen die Messe und da steht noch eine Autogrammstunde für die Besucher an, bei welcher ich ebenfalls dabei sein muss. Vielleicht ist das «Rahmenprogramm» ganz gut, denn so gibt es ein bisschen Ablenkung vor dem Rennen. Dieses startet übrigens am Samstagmorgen bereits um 5.50 Uhr Ortszeit (12.50 Uhr Schweizer Zeit) und da ich in der Serie auf dem vierten Rang liege, geniesse ich von all den Fahrern einen call up (Top 5) bei der Startaufstellung und somit gibt es für mich zumindest schonmal vor dem Start keine Positionskämpfe. An das Ganze danach möchte ich gar nicht erst denken……

Aktuell durchlebe ich mental täglich immer wieder Phasen der Höhen und Tiefen. Sitze ich auf dem Rad, dann geht es mir extrem gut und ich geniesse das Privileg des Daseins…. Dann, zurück im Hotel überkommt mich oftmals das Gefühl, dass dieses ganze Amerikaprojekt eine Nummer zu gross ist für mich alleine und dann stelle ich auch eine Fortführung der ganzen Sache in Frage. Vor einem Monat konnte ich das Ganze Erlebnis mit meiner Frau teilen, doch diesmal bin ich auf mich alleine gestellt und meine sonstigen Rennfahrerkollegen (wie auch meine Frau) starten in Finale Ligure beim Marathon Weltcup. Wohin ich tatsächlich gehöre, das weiss ich leider selber nicht mehr, doch ich habe mich für diesen neuen Weg entschieden und werde (Resultat hin oder her) bestimmt um eine Erfahrung reicher.

Damit ich meine Saison fortsetzen kann, habe ich neu auch eine Crowdfunding Seite eingerichtet und beim aktuellen Rennen werde ich durch die Bäckerei Steiner AG ( www.steiner-beck.ch ) unterstützt, herzlichen Dank dafür!

Nach dem Rennen werde ich am Sonntag die ganze Strecke in einem Mal zurück nach Denver fahren, damit ich am Montagvormittag vor meinem Rückflug noch kurz die Stadt Boulder anschauen kann. Da würde ich gerne bei meinem nächsten Rennen in Amerika Anfang August ein paar Tage bleiben und trainieren, soll nämlich sehr schön sein!

So, das war’s aktuell von meiner Seite und ich bin gespannt, was ich euch beim nächsten Rennbericht so alles erzählen kann, es wird bestimmt viel sein!

Stay tuned!