Rennberichte

SCHWEIZER MARATHON MEISTER 2022

Am Ende waren es 20 cm, die den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ausmachten! 20 cm, die mir nach 2017 meinen zweiten Schweizer Meistertitel in meiner Karriere einbrachten! Im Sport spricht man oft vom berüchtigten Tag X und diesen habe ich heute nicht nur „formtechnisch“ erreicht, in den heutigen 20 cm stecken meine gesamte Passion für den Sport, sie sind das Ergebnis eines Reifeprozesses und Entwicklung meines bisherigen Rennfahrerdaseins!

Viel Spass bei der Sonntagslektüre! (Sorry für den langen Bericht, aber ihr seid es ja gewohnt und dieser Titelgewinn ist das Ende einer Geschichte und nicht eines einzelnen Renntages …. )

Nachdem ich 2017 den Meistertitel etwas überraschend gewonnen hatte, so wollte ich den Titel heute nicht nur unbedingt gewinnen, ich hatte auch das nötige Selbstvertrauen dass ich es schaffen könnte! Es war eigentlich schon 2020 & 2021 ein grosses Ziel von mir gewesen, doch leider kennen wir die Pandemie-Geschichte und das BergiBike wurde die letzten zwei Jahre abgesagt. Obschon mir die Strecke extrem gut liegt, kam ich bei meinen bisherigen Starts nie so gut damit zurecht doch diesmal müsste ich die Vorlage der Streckencharakteristik nutzen! Bereits vor einem Jahr wäre ich zu jenem Jahreszeitpunkt super in Form gewesen doch damals vergab ich einen anderen Titel (Ultra-EM) auf unglückliche Art & Weise und so etwas sollte mir nie wieder passieren! Dieses Jahr habe ich eigentlich schon über den gesamten Winter das Gefühl gehabt, dass ich nochmals einen Schritt nach vorne machen konnte und auch nach dem missglückten Cape Epic (Coronainfektion) kam ich sehr schnell wieder in Form. Nach dem Sieg in Marokko kam jedoch ein erneuter gesundheitlicher Rückschlag und ich haderte eine Zeit lang mit mir selber. Am Ende griff ich allerdings auf meine Erfahrung zurück und legte mit einem harten Trainingsblock den Grundstein für die Juni-Form, perfekt getimt mit der SM als Höhepunkt!

Mein diesjähriges Motto „Ganz oder gar nicht“ kommt nicht von ungefähr und spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle bei meiner mentaler Einstellung! Nachdem ich relativ jung einen rasanten Aufstieg in meiner Karriere als Marathonfahrer hatte, stagnierte ich zwischen 2013 und 2016 ein wenig. Mein ganzjähriges hin & her zwischen zwei Kontinenten war rückblickend vlt. etwas zu viel und am Ende kam auch noch die Operation der Beinarterie. 2017 erreichte ich endlich mein Top-Level wieder und 2018 konnte ich es sogar noch verbessern. Danach kam ein schwieriges Jahr, in welchem mir vor allem die Zustände und Handhabung im damaligen Team die Freude und Motivation nahmen. Leider wurde es 2020 durch die Pandemie noch schlimmer und auch der Teamwechsel nach Spanien brachte die erhoffte Wende nicht. Als Rennfahrer stand ich vor der grossen Frage, ob ich meine Karriere als Profi  fortsetzen würde oder nicht. Mit viel Aufwand fand ich Leute, die auch weiterhin an mich glaubten und mich bei meiner Entscheidung, es als Einzelfahrer und ohne Team zu versuchen, unterstützten! Obschon es letztes Jahr einige gute Leistungen gab, plagten mich neben dem Sport einige Dinge, die mich beeinflussten und mir am Ende im Weg standen. Für diese Saison nahm ich mir vor, dass ich nur noch an den Start stehe, wenn ich auch wirklich bereit dazu bin. Das einzig Gute an der Pandemie ist die Tatsache, dass ich durch das Ausbleiben der Rennen merkte, welche mir fehlten und welche nicht. Ausserdem stehe ich langsam aber sicher im Herbst meiner Karriere und so ist auch die Einstellung eine wesentlich andere als noch mit 25 Jahren! Damals gab es noch viele Chancen für Erfolge doch so langsam aber sicher beschränken sich diese oder werden absehbar für mich. Die Misserfolge bei der Ultra-EM aber auch die Sprintniederlage beim Dash haben bei mir einerseits tiefe Wunden aufgeschürft, andrerseits aber auch sehr viel Motivation gegeben, es nochmals allen zu zeigen!

Bereits beim Hero in den Dolomiten habe ich gespürt, dass ich richtig in Form komme und der Sieg vor einer Woche in Singen gab mir nochmals eine gehörige Portion Selbstvertrauen! Damals hatte ich jedoch nicht die besten Beine und dies musste ich in den letzten Tagen ändern. Ich vertraute wie immer auf mein Körpergefühl und fand tatsächlich die richtige Balance, sodass ich bereits gestern beim Einfahren ein super Gefühl auf dem Rad hatte! Ich schaute mir noch die letzten 30 Km der Strecke an und prägte mir vor allem das Ziel gut ein, denn dieses war extrem schwierig um all die Hausecken und vielen Kurven! Das Spezielle beim BergiBike ist ja, dass der Startschuss in der Stadt Fribourg fällt, das Ziel jedoch in Bulle liegt. Da das Zielgelände bei der Eishalle liegt, führt die Strecke nach der letzten Abfahrt noch durch die Industriezone und über einen Bahnübergang am Rande des Dorfes über ein paar flache Km!

Das gute Gefühl vom Samstag bestätigte sich auch heute Morgen beim Einfahren und so stand ich mit grosser Vorfreude und erstaunlicher innerer Ruhe um 8 Uhr an der Startlinie! Dass aktuelle Leistungsniveau in der Schweiz war wohl im Marathon noch selten so dicht & hoch und die Anzahl Anwärter für den Titel ebenfalls! Neben Dauerfavorit Urs Huber stachen für mich vor allem Marc Stutzmann (EM 6ter vor zwei Wochen) und Martin Fanger als Top-Kanditaten heraus, doch auch Stauffer, Beeli & South würden auf dieser Strecke wohl ebenfalls schwer zu bezwingen sein.

Es kam tatsächlich genau zu jener Formation der Spitzengruppe, als nach den ersten 20 welligen Km die noch grosse Gruppe beim Einstieg zum Hauptanstieg bei der Tempoverschärfung von Huber auseinander fiel. Huber nahm überhaupt bereits von Beginn weg viel Verantwortung auf sich und diktierte oft das Tempo. Meine Taktik war ganz einfach, zuerst musste ich es in der Spitzengruppe über den La Berra schaffen und danach auch noch über den Gibloux um anschliessend meinen Joker im Sprint ziehen zu können. Mein Interesse an einem hohen Tempo war dementsprechend gering. Für dieses sorgten dann ausschliesslich Stauffer & Huber, doch es brachte keine Zensur bis zum höchsten Punkt nach 30 Km. Ich stach an zweiter Stelle hinter Stutzmann in die lange Abfahrt bis zum Gruyèzersee und leider verlor ich im mittleren Abschnitt sein Hinterrad. Hinter mir tat sich aber ebenfalls eine Lücke auf und deswegen war das Ganze nicht so tragisch.

Nach der Abfahrt folgten 20 Km im Cross Country-style. Ein stetiges Auf – und Ab und es war erneut Huber, der die Lücke zu Stutzmann schliessen konnte. Ich hätte ihn vorne noch etwas weiter „zappeln“ lassen, doch so fuhren wir wieder zu siebt geschlossen zum zweiten Knackpunkt des Rennens. Der Anstieg hinauf zum Gibloux ist teilweise extrem steil und es war klar, dass es Huber da noch einmal versuchen würde, wollte er das Rennen solo gewinnen. Doch wie viele Reserven hatten die anderen? Bei mir drehten die Beine noch immer ziemlich gut doch viel entscheidender war der Kopf. Auch Huber das Tempo immer mehr nach oben schraubte und ich ziemlich leiden musste, liess ich mich nicht abschütteln und auch Stutzmann war noch dran. Die anderen Begleiter waren nun in ernsthaften Schwierigkeiten und es taten sich kleine Lücken auf. Oben auf dem Gipfel war Fanger dann aber wieder dran und so stachen wir zu viert in die Abfahrt.

Es verblieben nun noch 20 Km und Huber fuhr mit viel Risiko und volle Kanne die schnellen Kieswege hinunter. Noch zwei schleichende Gegenanstiege und auch da fuhr Huber von vorne. Ich vertraute voll und ganz auf den Endspurt, denn selbst wenn ich bei den Anstiegen vlt. kurz weg gekommen wäre, so hätte ich das Tempo nie so hoch halten können wie Huber und seine Begleiter. Dies war wohl auch das Problem von Fanger & Stutzmann und natürlich fuhr auch Huber nicht mit allerletztem Einsatz. So kam es, dass kurz vor der finalen Abfahrt tatsächlich auch South & Beeli nochmals aufschlossen und damit würde das Finale mit 6 Fahrern extrem hektisch und unübersichtlich!

Die letzte Abfahrt war dann sprichwörtlich auf Messers Schneide und während erneut Huber an der Spitze Hals & Kopf riskierte, zitterte ich am Ende der Gruppe um den Anschluss. Ein Titel ist zwar schön, doch meine Gesundheit für den Rest des Lebens ist mir doch immer noch wichtiger! Es passierte (zum Glück) nichts mehr und so erreichten wir alle gemeinsam die letzten Km…. Jetzt nur nicht die Nerven verlieren! Ich hoffte, dass wie bereits in Singen jemand der Favoriten zuerst zuckte und so rollte ich an 5ter Stelle hinter Huber, South, Beeli & Fanger auf die Flamme Rouge. Plötzlich schoss Stutzmann von Hinten an uns vorbei und es passierte genau das, was ich mir erhofft hatte. Huber & Fanger reagierten sofort und ich konnte „nur“ im Windschatten hinterher springen. (es brauchte aber bereits 1‘000 Watt!)

Als ich mir gestern das Ziel um all die Ecken genau anschaute, gab es für mich am Ende eigentlich nur noch zwei kleine Möglichkeiten, um bei einem Sprint noch vorbei zu kommen. Leider schaffte ich es bei der ersten nicht vorbei zu sprinten und anschliessend kam eine Links- Rechts Kombination. Nach diesen zwei Kurven kam die letzte kurze Gerade und da schnappte ich zuerst Fanger und anschliessend wollte ich die Kurve innen schneiden und Huber überholen. Doch dieser machte zu und nach 30 Meter kam die letzte 90° Linkskurve. Es gab kein Vorbeikommen und es verblieben nur noch die letzten 200 Meter. Diese umfassten dann erneut eine leichte Rechtskurve und eigentlich war für mich im Vorfeld klar, dass das Rennen bereits bei der Kurve davor gelaufen sei. Dies dachte sich wohl auch Huber doch mein heutiger Wille trieb mich weiter an und nach der Kurve hatte ich mehr Beschleunigung, sodass ich trotz des weiteren Weges noch Aussen an Huber vorbeikam und mich auf den letzten 10 Meter noch an ihm vorbei schob.

Dass ein Rennen erst auf der Ziellinie zu Ende ist, dafür gibt es viele Beispiele und der Biss der Top Stars wie Schurter, Van Aert oder Van der Poel, bis zuletzt zu kämpfen nahm ich mir als Beispiel! Seit dem Dash kenne ich das Gefühl, im letzten Moment noch überholt zu werden nur zu gut und dass es am Ende für mich gereicht hat, kann ich noch gar nicht richtig glauben. Huber war heute nicht nur sehr stark wie immer, sondern auch ein fairer Sportsmann. Er blieb auf seiner Linie und ermöglichte mir damit das Vorbeikommen. Fanger blieb hinter uns die Hände gebunden und komplettierte am Ende als Dritter das Podest.

Es war ein unglaubliches Finale doch wie bereits in Singen sind es genau diese Rennsituationen, die mir den nötigen Adrenalinkick geben und das Rennfahrerherz schlagen lassen! Nach 2017 werde ich nun also zum zweiten Mal in meiner Karriere das Trikot mit viel Stolz auf meinen Schultern tragen und hoffe, dass es mir auch für die bevorstehenden Rennen wie 2018 eine Extraportion Energie und Glück bringen wird. Doch nicht nur resultatmässig hoffe ich auf weitere Erfolge, es wäre auch schön, wenn ich dadurch meine Karriere fortsetzen könnte. Denn auch in dieser Hinsicht fahre ich in Zukunft nur noch „Ganz, oder gar nicht“! Doch mehr dazu zu einem späteren Zeitpunkt!

Ich möchte mich an dieser Stelle bei all den Leuten bedanken, die mich durch die „Krise“ brachten und mich auf meinem Weg unterstützten! Meine Frau hat sich nach ihrem Sieg in Singen heute ganz in meinen „Dienst“ gestellt und mich perfekt betreut! Dass spontane Grillfest am Abend rundete meinen Tag in schönster Weise im gemütlichen Zusammensein ab und nun hoffe ich, dass ich bis am Samstag wieder alle Körner gesammelt habe, damit ich auch bei meinem nächsten Renneinsatz beim Albstadt Bike Marathon angreifen und das neue Trikot einem Schweizermeister würdig präsentieren kann!
Ende der Geschichte!