Alles oder Nichts! Zu verlieren hatte ich heute nichts mehr und genau deswegen stand ich beinahe ausgeschlafen und ziemlich entspannt am Start zur letzten Etappe des Titan Deserts 2022!
Gestern Abend fand ich die innere Ruhe und akzeptierte auch die Spielchen der anderen Teams. Falls ich heute nicht gewinnen würde, dann müsste ich mich auch an der eigenen Nase nehmen, denn während 650 Km durch die Wüste hat man eigentlich mehr als genug Zeit, um eine Entscheidung herbei zu führen.
Anders sah es natürlich für den Leader aus, denn er konnte „nur“ verlieren und diese Tatsache ist zumindest auf mentaler Ebene eine ganz zentrale!
Die heutige Etappe war mit 78 Km die Kürzeste, doch dafür gab es das erste Mal zwei kurze, sehr steile Anstiege.
Meine Hoffnungen auf eine Vorentscheidung wurden bereits nach dem Start mit der Tempoarbeit des Leaderteams „erstickt“! Seine beiden Helfer schlugen im starken Seitenwind ein dermassen hohes Tempo an, dass sich gar keiner getraute vorbei zu fahren. Dabei hätte es ja heute noch die letzte Gelegenheit gegeben, einen verpassten Etappensieg nach zu holen. Ich verstand die Taktik nicht ganz, denn eigentlich wäre ja ich Derjenige gewesen, der irgendetwas hätte versuchen müssen.
Dies tat ich dann zwar bei den genannten Anstiegen in der Mitte der Etappe und auch wenn ich eine Lücke reissen konnte, so war ich in der Folge auf den Flachpassagen chancenlos.
Es war also praktisch ein Absitzen der KM und die letzten 15 Km kannte ich dann zum Glück aus dem Vorjahr. Doch während damals die Attacken um den Etappensieg begannen, waren diesmal alle in der auf 10 Mann geschrumpften Spitzengruppe damit beschäftigt, irgendwie Unterschlupf im Windschatten zu kriegen und den Anschluss zur Gruppe zu halten. Das Tempo war extrem hoch!
Doch das einzige, was die frühe Tempoarbeit des Leaderteams bewirkte war nur die Tatsache, dass ich bereits nach 20 Km isoliert und auf mich alleine gestellt war. Um Defekten aus dem Weg zu gehen, fuhr ich in steinigen Abschnitten stets am Ende der Gruppe mit ca 3 Meter Abstand, damit ich die vielen Steine besser sehen konnte.
5 Km vor dem Ziel kam der letzte Checkpoint und danach gab es nur noch eine Möglichkeit, das Rennen doch noch zu gewinnen. Dass ich im Sprint keine Chance haben würde, zeigten meine drei Sprintniederlagen deutlich. Doch während die vorgegebene Strecke einen weiten Umweg um die vorhandenen Sanddünen machte, gab es noch einen möglichen Shortcut, welcher zwar zuerst 90 Grad von der Strecke abbog, danach aber wesentlich schneller war. Bei der letzten Austragung spielte ich die Spielchen der Shortcuts nicht mehr mit und damals blieb ich am Ende auf der Strecke und verlor noch einiges an Zeit bis ins Ziel. Der Shortcut müsste also theoretisch schneller sein und dies war meine letzte Chance auf den Sieg.
Ich drehte also als Letzter der Gruppe nach rechts ab und sofort setzte mir einer der beiden Helfer nach. Der Leader blieb allerdings am Hinterrad seines zweiten Helfers und bis auf ein weiterer Fahrer blieb der Rest der Gruppe beim Leader. Mit einem „Polizisten“ am Hinterrad war ich somit auf mich alleine gestellt und nun gab es nur noch eine Option. Alles oder Nichts. Ich hatte keine andere Möglichkeit mehr, als meine letzten Reserven zu mobilisieren und der Strecke auf meinem GPS zu vertrauen und der angezeigten Linie zu folgen.
Durch die Dünen verlor ich auch die Gruppe aus dem Blickfeld und ich hatte keine Ahnung mehr, wer wo fahren würde.
2 Km vor dem Ziel kam ich dann wieder auf die Strecke und 1 Km vor dem Ziel passierte ich die erste Zeitmatte. Beim letzten KM darf man nicht mehr „abkürzen“ und da ich vor mir niemanden sah, musste ich tatsächlich der Erste sein. Hinter mir und meinen einzigen beiden Verfolgern war ebenfalls niemand zu sehen und ich konnte das Ganze fast nicht glauben!
Kurz vor dem Ziel bat mich der eine Helfer noch um den Etappensieg….. der war mir mehr als egal und auch um Rang 2 kämpfte ich nicht mehr!
Als ich die Ziellinie überquerte, hatte ich den Gesamtsieg tatsächlich in der Tasche! Wenige Sekunden dahinter kam der Leader Francisco Herrero ins Ziel, er hat dem Druck nicht stand gehalten und einen fatalen Fehler begannen! Er hätte heute einfach nur bei mir bleiben sollen und damit den Sieg auf sicher gehabt, mehr nicht.
Dass ich nach 650 Km das Rennen mit 12 Sekunden für mich entscheiden konnte, ist beinahe unbegreifflich und nach dem Ziel gab es auf beiden Seiten einige Tränen zu vergiessen!
Auch meine Emotionen waren diesmal enorm, denn so viel Druck und Anspannung wie in dieser Woche hatte ich noch nie erlebt!
Rückblickend hatte ich das Rennen doch auf der gestrigen Etappe gewonnen, denn hätte ich die Lücke nach den Dünen nicht noch zugefahren, wäre die Sache gestern gelaufen gewesen. Einmal mehr konnte ich einen riesigen Erfolg dank meines Willens, meines Selbstvertrauen, meiner Erfahrung und der Einstellung, nie aufzugeben feiern!
Dass es mir mental trotz des ganzen Stresses die ganze Woche sehr gut ging, verdanke ich vor allem dem Team. Trotz der Sprachbarriere (es kann fast keiner Englisch) hatten wir einen mega Spirit. Auch die Mechaniker und die Physios haben jeden Tag 110% gegeben und wenn sich so viele Leute dermassen um einen bemühen, dann ist man es jedem einzelnen schuldig, ebenfalls 110% zu geben!
Dass meine Frau mit 2 Etappensiegen den 2ten Gesamtrang feierte, ist ebenfalls unglaublich und ich bin so dankbar, dass ich diesmal das Ganze Abenteuer mit ihr erleben durfte.
Die emotionale Achterbahn ist mit dem heutigen Sieg in diesem Jahr perfekt! Nach dem Cape Epic befand ich mich am absoluten Tiefpunkt und dieser Erfolg entschädigt für einiges! Ich hatte die letzten 3 Wochen unglaublich hart gearbeitet und mich wie bereits fürs Epic in Top Form gefahren.
Ausserdem gelang es mir ein weiteres Mal, eine absolut konstante Topleistung abzurufen und kam mit den harten Bedingungen der Marokkanischen Wüste bestens zurrecht.
Ein weiters Mal habe ich nun dieses so komplexe Rennen gewonnen und obschon ich in sämtlichen entscheidenden Situationen auf mich alleine gestellt war, traf ich stets die richtigen Entscheidungen. Am Ende war es vlt auch ein bisschen Karma, dass sich Ehrlichkeit in den meisten Fällen halt doch bewährt!
Nun geniesse ich noch die letzte Nacht (wir bekamen die Suite des Hotels) in Marokko, ehe es Morgen via 6 Stündige Autofahrt und 2 Stündigen Flug zurück nach Barcelona geht. Danach reisen wir mit dem Camper zurück in die Schweiz! Ein paar Autokilometer und Zeit also, das Ganze zu verarbeiten!
Ein Nachbericht folgt und ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal bei sämtlichen Leuten bedanken, die mich in dieser Woche unterstützt haben!
Muchas gracias!