Rennberichte

Zurück auf dem Rad!

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Was passiert und was ein bewegungssüchtiger Spitzensportler so alles durchlebt, wenn man ihm 6 Wochen Zwangspause ohne jegliche sportliche Aktivität verordnet, könnt ihr im Folgenden sehr ehrlichen Bericht erfahren! Viel Spass beim Lesen!
Genau 6 Wochen ist es her, seitdem ich am 23. Juni operiert wurde. Eine gefühlte Ewigkeit, in der ich so manch schwierige Momente durchleben musste. Nach 5 Tagen Spitalaufenthalt, brauchte ich zu Hause sehr viel Geduld und ab und zu lagen die Nerven blank. Während meine Kollegen an verschiedenen Rennplätzen im Einsatz waren oder das gute Sommer- Wetter für schöne Ausfahrten nutzten, war ich die ersten 3 Wochen an den Liegestuhl gefesselt.
Die Operation verlief sehr erfolgreich und so durfte ich nach 5 Tagen im Spital Hirslanden nach Hause gehen. Während einer gut dreistündigen Operation wurde mir die verstopfte Arterie gereinigt und die verengte Stelle durch eine eigene Vene vom Unterschenkel erweitert. Nun bleibt mir diese Operation durch zwei Narben à je 10 cm Schnittlänge für Immer in Erinnerung! Während am Unterschenkel nur die Vene entfernt wurde, mussten beim Bauch alle 3 Bauchmuskelschichten durchtrennt werden, ehe mit einer offenen Operation der „Schaden“ behoben werden konnte. Der „Flick“ bei der Arterie wäre bereits nach wenigen Tagen wieder „belastbar“, doch da jede der 3 Muskelschichten separat genäht werden mussten und somit die gesamte Bauchmuskulatur der rechten Seite durchtrennt wurde, hatte ich die ersten 3 Wochen einen ziemlich geschwollenen Bauch. Dazu konnte ich nicht aufrecht gehen, bis die Nähte zusammen gewachsen waren. Die geknickte Haltung führte dann ab und an zu ganz schönen Rückenschmerzen. Da man für beinahe jeglichen Bewegungsablauf die Bauchmuskulatur benötigt, war ich ziemlich eingeschränkt, durfte nichts heben und konnte nur auf einer Seite schlafen und nicht richtig aufstehen. Dies war zu Beginn auch nicht von Nöten, denn….
es überholte mich in den ersten zwei Wochen eine schier unglaubliche Müdigkeit. Es schien, als würden mich die gesamten letzten Jahre des Trainings, des ständigen Leistens und Abverlangen des Körpers einholen und ich schaffte es nicht einmal, ein Buch zu lesen. Neben viel Schlaf lag ich oftmals einfach da, ohne irgendwas anfangen zu können und blickte von der Terrasse aufs Zürcher Oberland hinunter. Eine endlose Leere breitete sich in meinem Kopf aus und ich realisierte erst nach ein paar Tagen, was das Ganze für ein Ausmass hatte. Vor der Operation befasste ich mich nicht gross mit den Konsequenzen, ich war vielmehr einfach nur froh, dass ich endlich eine Lösung für mein Problem gefunden hatte und so wollte ich den Schaden so schnell wie möglich behoben haben.
Die vielen schönen Rennen konnte ich leider nur auf den Ranglisten mitverfolgen und auch meine Freundin konnte ich nicht bei ihrem Training zur Olympiavorbereitung unterstützen.
Nach und nach ging es nach 3 Wochen jeden Tag etwas besser und auch das Spazieren war wieder mehrheitlich ohne Schmerzen möglich. Die Schwellung am Bauch ging zwar nur langsam zurück, aber der Horizont zur Besserung rückte so langsam ins Blickfeld. Da ich auch nicht gross was Arbeiten durfte, hatte ich vor allem viel Zeit zum Nachdenken. Die vergangenen drei Saisons befand ich mich vor allem auf der Überholspur und oftmals ging mir Alles etwas zu schnell. Ich hatte mir eine zweite Heimat in Stellenbosch aufgebaut und verschob mich mehrmals pro Jahr in den zwei Welten. Nun hatte ich Zeit, um Alles etwas aufzufangen, zu verarbeiten und auch um in die Zukunft zu blicken. Als Profisportler lebt man in einer „Scheinwelt“, in einer Art „Seifenblase“, die ganz schnell zerplatzen kann. Als Profisportler ist der eigene Körper das Kapital, der Hochleistungsapparat, auf welchen man alles abstimmt und über welchen sich beinahe der gesamte Tagesablauf ausrichtet, ist einerseits so unglaublich leistungsfähig aber andrerseits ebenso zerbrechlich. Jeden Tag stehe ich normalerweise auf und zuerst höre ich auf mein hochsensibles Inneres. Wie geht es meinem Körper, schmerzen die Beine, bin ich gut erholt, habe ich genügend geschlafen, kann ich das heutige Training fahren usw. usw. …. Nach den ersten Schritten aus dem Bett, bei welchen die Gefühlslage weiter getestet wird, geht es weiter mit dem Frühstück und der Ernährung, danach folgt das Training und anschliessend dreht sich wieder alles um den Körper, damit er sich möglichst gut erholt und am nächsten Tag wieder bereit ist, um zu leisten (Aufpäppeln durch Massage, Dehnen, rollen usw.). Profisportler sein bringt einen ganz anderen Tagesablauf mit, als ein normales Berufsfeld. Früher stand ich um 6 Uhr auf, danach war ich von 7 Uhr bis 17 Uhr auf der Baustelle. Dazwischen gab es 1 Std. Mittagspause. 5 Tage die Woche und in der Freizeit drückte ich das Training rein, ehe ich todmüde ins Bett fiel. Die einzige Erholungszeit waren die 8 Stunden Schlaf…. Als ich Profi wurde, hatte ich plötzlich Zeit für die Erholung und da fing ich als Erstes an zu optimieren, wodurch ich härter und vor allem auch mehr trainieren konnte. Doch dazu kam, dass ich keine 9 Stunden mehr am Arbeitsplatz verbrachte, sondern mir den Tag mit grosser Eigenverantwortung selber einteilen musste. Die Kehrseite liegt darin, dass man als Profi 24 Stunden Sportler ist, 7 Tage die Woche!
Genau dies tat ich dann logischerweise in den letzten 6 Wochen am meisten. Ich setzte mich mit meinem Körper auseinander, schaute jeden Tag ganz genau, ob sich was verändert hat und ob es endlich besser würde. Nach einer Woche stellte sich bei mir der „Heisshunger“ ein. Durch das Training haben wir einen enormen Kalorienumsatz und oftmals können sich „normale“ Leute nicht erklären, wieso wir dünnen Sportler so viel essen können. Die Müslischale morgens wurde immer kleiner, das Mittagessen immer weniger und das Abendessen konnte ich oftmals gänzlich auslassen! Auch hier stellte ich also eine grosser Veränderung fest, denn in meinen normalen Trainingspausen arbeitete ich auf dem Bau weiter, wobei man nach einem Tag Ziegel werfen etwa gleich viel Hunger hat wie nach einem vierstündigem Training, hehe! Dafür passierte noch etwas ganz anderes. Normalerweise habe ich oftmals grosse Schwierigkeiten mit dem Schlafen. Gerade nach Rennen oder harten und langen Trainings fährt mein Körper nicht runter und der Puls hämmert wie verrückt in meinem Ohr wenn ich auf dem Kissen liege oder die Beine surren und brauchen Bewegung. Normalerweise spüre ich schon nach einer Treppe in den ersten Stock ein leichtes saures Brennen in den Beinen, doch damit fing ich an zu leben, denn es gehört einfach dazu wenn der Körper am Limit ist. Gerade nach den intensiven Gym-Trainings kann ich am nächsten Tag kaum ohne ein Ziehen oder irgendwelchen Schmerzen aus dem Bett steigen, aber auch dies gehört zum Teil des Sportlerlebens….. Nach gut 2 Wochen fühlte ich mich dann immer erholter und konnte plötzlich ewig lange schlafen. Die Beine taten nie mehr weh und waren ganz weich und selbst nach mehreren Treppen spürte ich keinerlei Säure in den Beinen. Ohne Training gab es auch kein Ziehen oder Verspannungen mehr und es war mir so richtig wohl! Obschon der schönen Zustände hätte ich Jederzeit zu den alltäglichen Lasten des Sportlers getauscht, denn schlussendlich fehlte mir die Bewegung dann doch am allermeisten und dafür nehme ich die Unannehmlichkeiten gerne in Kauf!
Während meine Freundin nach einer Woche bei mir daheim eine Strassenrundfahrt in Tschechien fahren konnte, versuchte ich für sie weitere Startmöglichkeiten zu organisieren und so schaffte ich es, dass sie bei der internationalen Thüringenrundfahrt der Frauen starten konnte. So reisten wir für 8 Tage nach Khala (bei Erfurt) und während sie zum ersten Mal eine so wichtige Rundfahrt bestritt, gab ich mein Debut als Betreuer. Als Mechaniker, Masseur und Verpfleger hatte ich alle Hände voll zu tun und so hatte ich nicht nur eine Woche lang Ablenkung und Beschäftigung, sondern auch eine Art „Horizonterweiterung“. Seit 16 Jahren fahre ich nämlich fast jedes Wochenende ein Rennen und jedes Mal bin ich darauf angewiesen, dass mich jemand während dem Rennen verpflegt, mich danach massiert oder bei Etappenrennen mein Bike wieder sauber macht. Ich war mir immer bewusst, dass dies viel Arbeit ist und ich war auch stets dankbar, dass unzählige Leute ihre Freizeit für mich opfern, damit ich meinen Traum erfolgreich leben kann. Im Sport steht beinahe ausschliesslich der Athlet alleine im Rampenlicht, doch der Erfolg resultiert nur aus der Arbeit seines Teams! Nach meinem Einsatz während dieser Woche werde ich es in Zukunft mit Sicherheit um einiges mehr schätzen, wenn mir jemand eine Flasche reicht oder mein Rad wieder in Ordnung bringt!
Natürlich blieb auch einige Zeit, um meine Zukunft zu planen, doch diese hängt im Moment noch von unzähligen Entscheidungen ab, die ich selber gar nicht gross beeinflussen kann und somit kam ich da nicht gross weiter. Durch die vielen Rennen in Südafrika konnte ich extrem viel Neues sehen, neue Freundschaften schliessen und mir auch in einem anderen Land einen Namen machen. Ich würde auch in Zukunft sehr gerne weiter in Südafrika Rennen fahren und dies kann ich nur, weil ich für ein Team fahre, dass mir unglaublich grosse Freiheiten lässt. Dies ist nicht selbstverständlich und deshalb bin ich meinem Sponsor und Ausrüster Intercycle unglaublich dankbar.
Welche Rennen ich in Zukunft fahren werde und vor allem ab wann, hängt jetzt alleine von meiner Genesung ab. Nach fast 6 Wochen setzte ich mich nun Heute das erste Mal wieder auf ein Fahrrad! Was für ein Gefühl! Wie ein kleiner Junge der das erste Mal ohne Stützräder fahren kann! Ich war so glücklich, dass ich sogar ein paar Tränen nicht verkneifen konnte und es zeigte mir einmal mehr, wie viel mir der Sport bedeutet! Durch den permanenten Leistungsdruck und vor allem den eigenen Erwartungen an den Körper verlor ich nämlich doch ab und zu die Lust zum Fahrrad fahren, vor allem dann wenn es nicht lief, so wie in den letzten zwei Jahren. Doch die Pause tat vor allem auch der Seele gut und nun weiss ich, wie viel Wert es ist, wenn man gesund ist und dank seinem Körper so viel leisten kann. Fahrrad fahren bedeutete für mich immer extreme Freiheit! Schon als kleiner Junge erforschte ich das gesamte Zürcher Oberland und kannte bald jede Strasse und jeden Trail. Je älter ich wurde, desto länger wurden meine Kreise und irgendwann kamen auch noch Inseln oder Länder dazu, die ich durch das Fahrradfahren entdecken konnte. Ich mochte es nie, nur den Fussballplatz zu sehen oder die Kacheln im Schwimmbad zu zählen. Ich & mein Fahrrad waren eine Einheit und zusammen entdeckten wir die grosse weite Welt!
Nun werde ich mich nochmals ein paar Wochen gedulden müssen, da ich die ersten 2-3 Wochen nur sehr wenig fahren darf und den Puls stets unter 130 halten sollte. So bin ich zurzeit zwar wieder mobil und unterwegs, doch dies vor allem im Schneckentempo oder beinahe in Zeitlupe, hehe!
Wie schnell es danach aufwärts geht und wann ich wieder Rennen fahren kann, weiss ich im Moment noch nicht. Ich werde mir sicher die Zeit lassen und einen nachhaltigen Aufbau machen. Nun werde ich vor allem zuerst meiner Freundin in Rio die Daumen drücken. Obwohl ich nach Mallorca nicht mehr mit ihr trainieren konnte, denke ich haben wir eine gute Vorbereitung gemacht und viel Zeit investiert, damit sie ein erfolgreiches Rennen fahren kann! Ich bin vor allem eines, unglaublich stolz dass sie es bis nach Rio geschafft hat!
Das Gefühl, wenn man nach so langer Vorbereitung, so vielen harten Trainings und so vielen Entbehrungen ein erfolgreiches Rennen fahren und einen Erfolg feiern kann, ist im Sport sicher einmalig. Genau nach diesen Emotionen bin auch ich süchtig! Nach dem Gefühl, dem Körper alles abverlangt zu haben und die Gewissheit, dass sich die ganze Arbeit ausbezahlt hat! Genau diese Emotionen treiben mich immer wieder an, nach vorne zu schauen und weiter zu machen! Es ist zwar hart, dass es bei mir im in diesem Jahr nicht wirklich aufgegangen ist und ich wenig Erfolgserlebnisse hatte, doch dafür ging bei Vera alles auf und das freut mich umso mehr!
Meine Stimmungsschwankungen mussten vor allem meine Freundin und meine Eltern und Geschwister miterleben und dies war sicher nicht immer ganz so lustig für sie. Ich möchte an dieser Stelle allen ganz herzlich Danke sagen, die mich während den letzten 6 Wochen begleitet oder an mich gedacht haben!
Nun freue ich mich bereits auf den Moment, an dem ich mir wieder eine Startnummer an den Lenker hefte und es heisst, FullGAZ! Doch bis dann ist nochmals ein wenig Geduld gefragt……

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